22. November 1863, ein Sonntag, der letzte im Kirchenjahr: Totensonntag! Rund um die St. Vinzentiuskirche ist die Harpener Gemeinde versammelt. Kirchschullehrer Hiddemann hatte punkt 14 Uhr die Schulkinder zum Abmarsch aufgestellt. Die Glocken beginnen zu läuten, und hinter den Kindern setzt sich der Zug der Erwachsenen in Bewegung mit Pfr. Wilhelm Rosenbaum, dem Presbyterium, dann die Männer der Gemeinde und der lange Zug der Frauen. Das erste Lied in dieser bislang einzigartigen Prozession erklingt:
"Lebe wohl, du heil´ge Stätte, wo in seinem kühlen Bette mancher unsrer Lieben ruht, wo so viele, viele Todte schlummern, bis des Himmels Bote läßt sie aus des Grabes Hut."
So begann der Abschied von einem Friedhof, der seit Menschengedenken um die 1000 Jahre alte St. Vinzentiuskirche herum die Toten der Gemeinde aufgenommen hatte. Es war kein leichter Abschied für die Gemeinde, und doch überwog die Erleichterung: hatte sich doch der Zustand des Friedhofs als nicht länger tragbar erwiesen. In seinen Erinnerungen schrieb der alte Pfarrer Rosenbaum: „Der alte Totenhof glich mehr einem Schindacker als einer Ruhestätte der Entschlafenen, weil beim Aufwerfen eines Grabes Gebeine ausgeworfen und frische Särge bloßgelegt wurden“.
Die Verlagerung von Friedhöfen in dieser Zeit war eine Folge der Bevölkerungsexplosion. Schon das preußische Landrecht von 1794 hatte verordnet, daß weder in Kirchen noch bewohnten Gegenden der Städte Beerdigungen weiterhin erfolgen durften. Auf dem platten Land ließ sich das nicht so einfach erzwingen – wohl auch nicht in Harpen, als ringsherum längst die großen kommunalen Friedhöfe angelegt wurden. Doch am Ende waren die katastrophalen Zustände nicht mehr zu leugnen. Allein von 1850 bis 1870 stieg die Einwohnerzahl Harpens von 660 auf 1320 und erreichte 1900 die Zahl von 3920. Es wurde also höchste Zeit: „Stiller Friedhof, lebe wohl“ mit der letzten Zeile des Aufbruchliedes zu singen.
Nur 8 Gehminuten von der Kirche lag der neue Friedhof, heute bekannt als der Friedhof Maischützenstraße. Die Gemeinde besaß da schon ein Grundstück, das mit einem Zukauf von 750 Talern vom Bauern Lütgendorp die entsprechende Erweiterung erfuhr. Eine Trauerhalle war nicht vorgesehen. Verstorbene wurden zu der Zeit noch in den eigenen vier Wänden aufgebahrt und v on dort zum Friedhof gebracht. Die Zeiten änderten sich in immer schnelleren Schüben. Bereits 1890 – und wieder war es ein 22. November, der Totensonntag des Jahres 1891, als der Nachfolger von Wilhelm Rosenbaum, Pfr. Gustav Dickerhoff, die Eröffnung eines weiteren Friedhofs in unmittelbarer Nachbarschaft der Maischützenstraße vornahm, den Friedhof an der Gerther Straße. Damit kamen zu den 913 Einzelgräbern weitere 2180 hinzu, und - eine bedeutsame Ergänzung – die erste Friedhofskapelle in Harpen wurde eingeweiht. Am 12. April 1924 beschloss die Kommune, einen eigenen Friedhof anzugliedern unter Mitnutzung der bestehenden Trauerhalle.
Inzwischen hat die Stadt Bochum diesen Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde zur Nutzung und Pflege überlassen. Der Friedhof steht allen Harpener Bürgern offen und hat gemeinsam mit der „Ursprungszelle“ Maischützenstraße mit der Dietrich-Bonhoeffer-Kapelle eine angemessene und schmucke Trauerhalle bekommen. Mit dieser Entscheidung des Presbyteriums und dem großen Engagement vieler Gemeindeglieder ist nun zwischen Maischützenstraße und Gerther Straße ein würdiger Bestattungsort mitten in Harpen verblieben, eine grüne Oase, eine Stätte des Gedenkens, des Erinnerns und des Trostes, wie Bonhoeffers Lied in den Fenstern der Kapelle verheißt:
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.